Horst Lothar Renner

hendrich, hermann

... über das künstlerische Werk von h.l.renner


Als nach den Lesungen im Intimen Theater (20.5.1957) und in der Secession (11.7.1958). sowie den ’literarischen cabaret's' der soge-nannten Wiener Dichtergruppe, die im Künstlerclub Alte und Neue Welt 1958, bzw im Theater im Porrhaus 1959 stattfanden, die Arbeiten der Teilnehmer an diesen Gruppenereignissen einem grösseren Kreis literarisch Interessierter bekannt wurden, entstand mit Konrad Bayer und Gerhard Rühm - in je unterschiedlicher Weise - ein Leitduo der literarischen Avantgarde oder jener, die gerne dabei sein wollten. Oswald Wiener, ein weiteres Mitglied dieser Gruppe, verstummte nach den literarischen cabaret's für einige Jahre und Friedrich Achleitner nahm an der weiteren Popularisierung der Dialektdichtung einerseits und der Entwicklung der visuellen konkreten Dichtung andererseits teil, die in den folgenden Zusammenhängen geringere Bedeutung besitzen.
Bayer hatte mit seinen Veröffentlichungen in den damaligen literarischen Zeitschriften, die sich überhaupt um die Avantgarde kümmerten, am ehesten die Ergebnisse der langjährigen Zusammenarbeit in dieser ,Wiener Dichtergruppe' darstellen können: den Einsatz der Montage-technik, der Sprachkritik und einen Prosastil, der sich an den Begleitern und Ausläufern der Dadaisten orientierte. Für kreativ Schreibende öffnete sich damit ein Werkzeugkasten, dessen Zusammenstellung neu und unverbraucht war.

Als Horst L. Renner, Brigitta Schlemmer, Gottfried Schlemmer und Peter Schweiger 1962 sich zur Gründung der "werkstatt, verein zur Förderung moderner Kunst“ zusammenfanden, in der sich theatralische und literarische Interessen ergänzten, entstand eine Gruppierung, die sich intensiv mit der Vermittlung der Avantgarde auseinandersetzen sollte. So wurde als eine der ersten öffentlichen Aktivitäten eine Aufführung des Bayer Stückes "kasperl auf dem elektrischen stuhl" im Studentenheim in der Ebendorferstrasse durchgeführt, die (nach meinen Erinnerungen) ausserordentlich gut besucht war.

Von einer Generationenfolge der Werkstattmitglieder kann im klassischen Sinn nicht gesprochen werden, denn die Altersunterschiede zu Bayer oder Wiener bestanden nur aus einigen knappen Jahren.
Eine andere interessante Verschränkung sei noch angemerkt: Renner besuchte auch das "konkrete theater" im Theater Experiment am Lichten-werd im Dezember 1961, einige Abende mit einer Reihe von kurzen Stücken, die H. Hendrich und K KinzL geschrieben und inszeniert hatten. In diesen Stücken war versucht worden, das Konzept der konkreten Poesie auf Bühnentexte und -vorgänge anzuwenden.

Der Umkreis der literarischen Interessen der "werkstatt" lässt sich aus den ersten (Lese) Veranstaltungen der Jahre 1963 und 64 am besten bestimmen: da wurden Texte von Helmut Heißenbüttel, Hans G. Helms, und Max Bense neben Lesungen von Eugen Gomringer, Andreas Okopenko, Friederike Mayröcker, Siegfried Pflegerl, Rene Altmann und Ernst Jandl vorgestellt, Renner war mit eigenen Texten dabei. Auch der Inhalt der legendären Nummer 1 der Zeitschrift "werkstatt aspekt" mit Originaltexten von Achleitner, Artmann, Bayer, Bense, Gomringer, Helms, Rühm und eben auch unseres Autors verstärkt für mich die klare Situierung der "werkstatt" in der literarischen Landschaft der Mitte der sechziger Jahre. Dazu kommt noch die Auseinandersetzung mit dem Werk von Gertrude Stein, die insbesondere von Brigitta Schlemmer begonnen wurde. Die von Renner in "werkstatt aspekt 1" abgedruckten Texte "poesie 37" und "poesie 38" lesen sich heute als Verkürzungen und Raffungen literarischer Intentionen im Vergleich mit den zeitgleichen Arbeiten von Bayer und Rühm oder Gomringer.

Mit den ab Mitte der sechzig er entstehenden Arbeiten wie "abcd, arrangement für eine männliche stimme", "pausentext" , "moby dick schwimmt stromaufwärts" (den ersten längeren text den ich mit Über-raschung und grossem Interesse hören durfte) oder "das neueste vom tage" konnte sich Horst L. Renner als eigenständiger Neuentwickler von Texten verschiedenen Umfanges und Einsatzes mit kritischer und poetischer Haltung in Wien positionieren. Da Publikationsmöglichkeiten in entsprechenden Zeitschriften fehlten, Verlage mit einem verwandten Programm in Österreich auch nicht bestanden, gab es nur die Möglichkeit bei Lesungen oder bei den von uns organisierten Veranstaltungen ein Publikum zu erreichen. Die Ursachen dafür sind schon an anderen Orten beleuchtet worden (Verkannte Lit.4, Okopenko5) , als Ergebnis dieser Situation ist das Fehlen solcher Autoren wie eben Renner, den Verfasser dieser Zeilen oder auch Marc Adrian - was seine literarische Seite betrifft - in diesem Jahrzehnt von 1965 bis 1975 festzuhalten. Die nächste Generation, von denen einzelne wie Jonke oder Zoderer auch von der "werkstatt" vorgestellt wurden oder in ihrer Schreibwerkstatt zeitweise mitarbeiteten, erhielt die ihr gebührende Aufmerksamkeit. So kann sich diese Lücke auch durch spätere zusammenfassende Veröffentlichungen einzelner (Adrian, Hendrich) nie mehr schliessen, man kann sicher auch von einem Desinteresse an Schubladenarbeit sprechen.

Die in dieser Zeit sich so interessant entwickelnden Grazer "manuskripte" kümmerten sich nicht um diese Generation, das "Wespennest", Anfang der 70er entstanden, profilierte ein neues Programm an eher "realisti-scher" Literatur.
So ist es verständlich, wenn wir in diesem Buch mit der "skizze" auf Blatt 13 eine lange Pause einlegen müssen, deren Ränder von den Sätzen ,wo du wohnen könntest', ,nein nichts hast du erledigt', ,was du zu tun hattest' besetzt werden, und das Gedicht schliesst mit ,bist zuhause, bist allein'. Wir mussten auf die 68er Bewegung warten, die sich ohnehin erst Anfang der 70er in Österreich bemerkbar gemacht hat.

Ich möchte aber auf das Interesse von Renner an medialen Ausdrucks-formen hinweisen, wie seine Beiträge zu "bühne und autor heute" in der werkstatt breitenbrunn , August 1967 sowie der Veranstaltung "multi media 1" in der galerie Junge Generation im April 1969 beweisen mögen. Im weiteren werde ich noch auf spätere Arbeiten zurückkommen. Für "bühne und autor heute", einer Art Symposion - ,Meeting 1967' genannt6 - an der eine Reihe von später sehr bekannten Autoren, Künstlern und Publizisten teilgenommen hatten, wie z.B. Otto Mühl, Gottfried Schlemmer, Rolf Schwendter, Giselher Smekal usw , hatte Renner eine Form des akustischen Happenings entwickelt, bei dem der entstehende Ablauf durch die Einwirkung der Zuhörer beeinflusst werden konnte. Für ,multi media 1" lässt sich Renners Eintragung in die Presseaussendung so lesen: ,horst lothar renner, 1936, schriftsteller, veröffentlichungen in zeitschriften und dokumentationen, zahlreiche lesungen, rundfunksen-dungen, aufführungen von hörspielen und theaterstücken, ausstellungen visueller poesie, produktion von nipp-art. Im rahmen des stark an der technik orientierten programms versucht horst lothar renner durch ein-fache demonstrationen ereignisse zu setzen, um dadurch beim publikum kritik und persönliches engagement zu provozieren. durch die einglie-derung dieser kurzen, von schauspielern realisierten aktionen in die gesamtveranstaltung, werden möglichkeiten der veränderung undifferenzierten bewusstseins aufgezeigt."7 Das waren unsere damaligen Möglichkeiten, eine Öffentlichkeit zu erreichen, und angesichts unseres Einsatzes8 wären Antworten wohl zu erwarten gewesen, was wir anregten, haben wir ja nicht vernommen.
Als Auswege aus dieser Situation boten sich die Mitarbeit in linken Organisationen oder in entsprechenden Arbeitsgemeinschaften wie die .Österreichischen Literaturproduzenten"9 an. (Ich habe es bedauert, dass seinerzeit Renner auf Grund persönlicher Umstände nicht weiter an diesen Entwicklungen teilnehmen konnte.) Natürlich waren diese Jahre auch für uns, die wir nicht von der Schriftstellerei leben konnten oder es auch nur versucht hätten, von einer grossen inneren Radikalisierung begleitet, die ich nur durch den Einsatz für andere bewältigt habe. Renner wählte den Weg in den politischen Kampf. Welche Verschwendungen an Talent hat sich unsere Gesellschaft schon immer geleistet?

Horst schreibt 1980 ein Gedicht mit dem Titel .wange an rinde" das in seiner - doch hermetischen - Grundform das ausdrückt, was wir Angehörige dieser Generation, ausgeschlossen von der eigenen Mitwirkung am politischen und gesellschaftlichen Geschehen - sei es durch Zurückhaltung oder aus vorbeugender Einsicht - empfinden, und nach wie vor als Grundton hören können. Und ich möchte, dass der geneigte Leser nunmehr Blatt 14 aufschlagen möge, denn ich kann dieses Gedicht hier nicht laut vorlesen, was ich so gerne tun würde. Und dann .wider und wieder" auf Blatt 18 aus dem gleichen Jahr, ich habe da nichts mehr hinzuzufügen.

Renner hat auch in den letzten Jahrzehnten des 20.Jhdts nicht auf sein Interesse an - im weitesten Sinne - Performances vergessen, und hat hier im weiten Bogen von nächtlichen Aktionen im Waldviertel aus Anlass des Krieges am Balkan über musikalische Sprechstücke bis zu Kurzfilmen (als Drehbuchautor und Regisseur) einiges vorgestellt, das sich durchaus einer anderen Öffentlichkeit einreihen hätte können. Ich vergesse auch
nicht die Performance von Horst am 30.10.1986 im Studentencafe Berggasse 5, Wien IX., unterstützt von Helga Renner; ich zitiere einen Ausschnitt: "eine art hörspiel zum anschauen./waschzettel, rhythmus-versuch./abläufe, einschübe, semantische und semiotische anklänge/gedankenbibilothek. teilstücke. stimmungsbild."

Darum denke ich, dass die wenigen Beispiele von Renners Prosa in diesem Band eher den Charakter von laut vorgelesenen Texten besitzen, zumindest ich selbst kann beim Lesen Horst's Stimme nicht von der Wortfolge abtrennen. So endet mein Text mit dem Anfang von Renners ,annäherungsversuch':

"vor und zurück, ja vor und zurück, ja, ich versuche es, und werde es bis zum ende versuchen, trotz des bewusstseins, das es nicht geht, nicht gehen kann, aber der versuch, ein versuch, ist nun mal der anfang vom ende............“

Hermann J. Hendrich 3/2001

PS: mit vergnügen teilen wir unsere lieblingslektüre mit:

Mr Nolan looks at Mr Case, Mr Case at Mr Nolan, Mr Gorman at Mr Case, Mr Gorman at Mr Nolan, Mr Nolan at Mr Gorman, Mr Case at Mr Gorman, Mr Gorman again at Mr Case, again at Mr Nolan, and then straight before him, at nothing in particular. And so they stayed a little while, Mr Case and Mr Nolan looking at Mr Gorman, and Mr Gorman looking straight before hirn, at nothing in particular, though the sky falling to the hills, and the hills falling to the plain, made as pretty a picture, in the early morning light, as a man could hope to meet with, in a day's march."
WATT by Samuel Beckett 1945

PS2: wie weit sind wir gegangen?

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1 Siehe auch Hermann Hendrich: "Szene oder Mittler? werkstatt wien in den sechziger Jahren" in 'Verkannte Literatur heute?' Freibord Nr. 57, S 25-30.
2 Mündliche Angabe
3 In dieser Nummer findet sich auch der berühmte Aufsatz von Konrad Bayer: "H.C.Artmann und die Wiener Dichtergruppe", eine der meistzitierten Quellen über die Wiener Dichtergruppe (leider auch in den meisten Fällen ohne Angabe der Erstveröffent-lichung!), wobei eine Reihe von Feststellungen Bayers insbesondere über das zweite literarische cabaret unkorrekt bzw unrichtig sind.
4 freibord Nr. 57
5 Andreas Okopenko: „Die schwierigen Anfänge Österreichischer Progressivliteratur nach
1945“ in ,Gesammelte Aufsätze Band 1, Ritter 2000
6 siehe "bühne und autor heute" werkstatt breitenbrunn 1967
7 Programm: "multi media 1" galerie junge generation 10. und 11. april 1969; marc adrian, VALIE EXPORT, pater hassmann, wolf hermann, horst I. renner, gottfried schlemmer, peter weibel
RE-PLAY, Anfänge Internationaler Medienkunst in Österreich", Generali Foundation,
Wien, ISBN 3-88375-430-7 - .
9 "Erste Erklärung des Arbeitskreises der Österreich ischen Literaturproduzenten" in 'Edition Literaturproduzenten, Null-Nummer', ISBN 3-7141-6670-X Jugend und Volk, Wien 1971

(veröffentlich in: horst lothar renner "annäherungsversuch" 2001, Academic Publisher, Graz/Austria)