Horst Lothar Renner

wimmer, erika

Die Winzerin, dem weinfreudigen Horst gewidmet von Erika Wimmer


Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal Winzerin werden würde. Doch: nomen es omen.
         Mein Rebhäuschen steht, so stelle ich mir vor, irgendwo in Frankreich an einem sonnigen Hang, Zwergeichen werfen raschelnd Blätter auf mein Dach. Unterhalb des Hauses falten sich die Weinberge bis zum See hin, der nicht der Kalterer See ist, dessen Blau im scharfen Kontrast zu den umliegenden, roten Erdhügeln zu mir herauf blitzt. Die Pflanzen im angrenzenden Glashaus brauchen in diesem heißen Spätsommer immer noch große Mengen von Wasser, in den Schreibpausen pumpe ich eine Gießkanne nach der anderen voll und sprenge meine Blumen, zum Spaß auch ein Stück zerklüftete Erde. Das aus Stein gebaute Haus hat ein einziges Fenster, drinnen steht nichts als mein Tisch mit den Schreibutensilien, Federn, Tinten, Tusche, Papier. Einen Computer habe ich nicht, denn das Haus ist nicht angestromt.
          Wer hätte das gedacht: Ich bin Winzerin geworden. Während die Bauern dort den Stand der Traubenreife prüfen, mit ihren meist klappernden Gefährten durch die Weinäcker fahren und pflegen, binden und aufladen, sitze ich nur da und schreibe über das Holz der Rebe, über die wächserne Oberfläche eines Blattes, ich schreibe mich dem Wasser zu, die lehmigen Hügel entlang. So lebt es sich gut. Manchmal bekritzle ich das Papier von links oben nach rechts unten voll, lauter Schriftzeichen, die nichts bedeuten. Ich habe keine Ahnung vom Wimmen und Keltern, aber auf meinem Tisch steht ein Glas Roter, der Wein aus gegebenem Anlass [nicht vergessen!] ein Kalterer. Prost! Ab sechzig ist das Leben nur noch schön, da hat man für anderes nicht mehr Zeit.
          Ich besitze einen kleinen Weinberg, nein, nicht in Südtirol, dort wäre ein solcher unerschwinglich. Ich schaue Guillaume bei der Arbeit zu, schreibend mache ich mich zur Winzerin und am Ende bin ich es wirklich. Vielleicht hat der Rote auf meinem Tisch dazu beigetragen. Auf die Mauer meines Häuschens sollte ich wilden Wein klettern lassen, der färbt sich im Herbst so schön.